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Warum das Einfache oft so schwer ist

Ich habe vor kurzem für mich den ultimativen Weg gefunden, weniger gestresst und besser gelaunt zu sein: ich mache dann und wann fünf Minuten Pause, in denen ich einfach nur sitze. Tadaa!

Ja, ich muss dabei selbst schmunzeln, weil es so… selbstverständlich wirkt. So einfach. Wie so viele Handlungen oder Handlungsempfehlungen, die von außen ganz einfach und selbstverständlich wirken. Empfehlungen wie ‚ernähr Dich gesünder‘, ‚beweg Dich mehr‘, ’sorge für ausreichend Schlaf‘ oder ‚umgib Dich mit Menschen, die Dir gut tun‘.

So einfach und oft doch so schwer. Denn natürlich habe ich schon früher daran gedacht, dass es gut wäre, öfters mal eine Pause zu machen, doch so wie viele gute Neujahrsvorsätze ging auch diese gute Absicht irgendwie, irgendwo wieder verloren.

Zwei gute Gründe, weshalb es eben doch nicht so einfach ist

Es sind keine Kapazitäten vorhanden

Manchmal, da ist es einfach schlicht und einfach unmöglich, das gut gemeinte ‚Ich sollte/Du solltest mal…‘ umzusetzen. Wenn ich jede Nacht zwischen 2 und 3 Uhr aufwache und einfach nicht mehr einschlafen kann, kann ich über die Empfehlung für ausreichend Schlaf nur müde lächeln. Und manchmal macht guter Rat sogar alles noch schlimmer, erzeugt Druck, der mich zudem noch wachhält, weil etwas in mir bei jedem Erwachen in ‚oh nein, ich bin schon wieder wach‘-Panik verfällt.

Manchmal passt unsere Situation so wenig zur Handlungsempfehlung wie hohes Fieber zu einem Workout. Manche Menschen haben einfach nicht die Kapazitäten für fünf Minuten Pause, so dringend sie sie auch bräuchten. Zum Beispiel weil sie gerade alleinerziehend mit kleinen Kindern sind und sich nicht daran erinnern können, wann sie das letzte Mal geduscht haben. Oder weil sie Nachtschicht im Krankenhaus machen und selbst eine Toilettenpause drastische Folgen für die Patienten hätte. Gute Vorsätze oder Ratschläge braucht es da sicher weniger als Beistand und konkrete Unterstützung.

Bild von Yvette W auf Pixabay

Etwas in uns will es einfach nicht

Das war sicherlich bei mir der Fall. So sehr ich (oder etwas in mir) davon überzeugt war, dass mir Pausen gut tun würden… ein anderer Teil, oder mehrere, wollte das einfach nicht.

Zum Beispiel der, für den mein Selbstwert fest mit erbrachter Leistung verknüpft war. Dieser Teil sagte mir, dass der einzige Weg, mich gut und entspannt zu fühlen, darin besteht, alle Punkte auf der ToDo-Liste abzuhaken. Und zwar wirklich alle – am besten auch die, die erst in der Zukunft anstehen. Um mir dabei zu helfen, endlich Entspannung zu finden, dachte (und denkt) dieser Teil unermüdlich darüber nach, welche Aufgaben es sonst noch zu erledigen gäbe. Fünf Minuten Pause? Was würde das denn ergeben, wenn man es über die Tage, Monate, Jahre aufaddiert? Tage des Nichtstuns, die man doch so produktiv füllen könnte? No way!

Auch bei den anderen guten Vorsätzen, fanden (und finden) sich Teile, die mit dem Vorhaben nicht einverstanden war. Der Teil, der sich zu erschöpft fühlte, um Sport zu machen. Der Teil, der Naschen und kalorienreiches Essen mit Lebensfreude verbindet. Der Teil, für den fünf Minuten Sitzen ohne Handy, ein Buch oder eine andere Ablenkung unvorstellbar ist.

Der oft vermittelte Ratschlag im Umgang mit diesen Teilen ist: Disziplin. Die Zähne zusammenreißen, sich und den inneren Schweinehund überwinden, den Arsch hochbekommen und so. Funktioniert das bei euch? Bei mir nicht. Zumindest nicht auf Dauer. Und selbst dann, wenn es funktioniert, fühle ich mich nicht richtig gut. Das heißt, für den Moment vielleicht schon. Da fühle ich mich stolz auf das, was ich erreicht habe. Doch sobald auch nur der kleinste Rückschlag passiert, verfalle ich in Selbstvorwürfe oder verwerfe mein Vorhaben.

Hütte im Wald
Bild von David Mark auf Pixabay

Wie wir damit umgehen können

Was wäre der bessere Weg? Ich weiß nicht, welcher es für Dich ist, für mich ist es Empathie. Oder konkret: Inner Relationship Focusing. Oder noch konkreter: das, was ich und meine Begleitung daraus machen.

Schon alleine der Moment, in dem ich meine Partnerin auf dem Bildschirm sehe, sie mir entgegen lächelt und es sich anfühlt, als würde ich nach Hause kommen, tut mir so unbeschreiblich gut. Bereits da spüre ich, dass es okay ist, dass ich okay bin, und spüre, dass etwas in mir, das erstarrt war, anfängt, sich zu lösen und mir die Tränen kommen.

Ich höre ihre warme Stimme beim Körperscan oder wandere selbst langsam und behutsam durch meinen Körper, spüre, wie es sich anfühlt, festen Boden unter den Füßen zu haben, von meinem Stuhl getragen zu werden, wie sich meine Hände anfühlen, meine Schultern… und fühle dabei zugleich die warme Präsenz meiner Begleitung.

Ich spüre nach, welche Umgebung mir gut täte – eine Höhle, ein Strand, eine Wiese im Park… und darf mir die Zeit nehmen, mich dorthin zu tagträumen, einfach dort sein, so lange wie ich möchte. Nichts drängt. Es ist wie Urlaub.

Und dort, in dieser sicheren, warmen, selbstgewählten Umgebung kann ich mich in meinem Tempo, dem zuwenden, was sich zeigen möchte. Der Enge und den Verspannungen, dem was drängt, sich unwillig, verzweifelt, wütend, hoffnungslos, panisch oder sehnsuchtsvoll fühlt, den nervösen Jägern, den großen, schwarzen Bären, den schüchternen Kindern und nach unten sinkenden Steinen.

Es ist bei all dem Schmerz und Schmerzhaften ein Ort des Friedens und der Freiheit, in der bleiben, heilen und wachsen kann, was bleiben, heilen und wachsen will. So völlig anders als alles andere, was ich vorher gekannt habe.

Und so kam es bei mir, dass es sich ganz langsam gewandelt hat. Dass ich zulassen kann, dass ich mich nicht von einer Aktivität in die nächste stürze, dass mich offene Punkt auf der ToDo-Liste nicht mehr (allzu sehr) in die Krise stürzen, dass ich langsam, ganz langsam weniger Ablenkung brauche und es genießen kann, hier und da fünf Minuten einfach nur zu sitzen und mich zu erholen.

Und dafür bin ich sehr, dankbar.

Soweit zu mir, wie ist das bei Dir?

Vielen Dank fürs Lesen meiner Reflexionen. Wie ging es Dir damit? Gibt es Gedanken oder Eindrücke dazu, die Du mir mir oder anderen teilen möchtest? Falls ja, möchte ich Dich dazu einladen, sie in die Kommentare zu schreiben. Oder als E-Mail an mich: julia (at) focusing-reise punkt de

2 Antworten auf „Warum das Einfache oft so schwer ist“

Liebe Julia,

wie schön, dass das mit der fünfminütigen Entspannung Dir so gut tut und dass sie ihren Weg in Deinen Alltag gefunden hat. Das ist wahrer Luxus! Ich finde es unglaublich, wie lang auch schon eine Minute sein kann, wenn man einfach nur dasitzt.
Ich trinke morgens immer als erstes einen Kaffee im Bett und tue sonst nichts. Das genieße ich sehr.
Da Du Disziplin ansprachst – die brauche ich,außer für das Kaffeetrinken am Morgen, zur Zeit auf jeden Fall, um mal an mich zu denken und etwas zu tun, was mir gut tut, denn es drängen so viele andere Dinge – wenn ich mir keinen Ruck gebe, um da mal bewusst auszubrechen, passiert das auch nicht. Jedenfalls zur Zeit nicht 🙂
Liebe Grüße
Annika

Liebe Annika,
vielen, vielen Dank, ich strahle gerade über den Kommentar! Mein allererster!:)

Oh, das Kaffeetrinken im Bett klingt wunderbar! Richtig gemütlich, ruhig und genussvoll. Wie schön, dass Du das für Dich tust!

Und ja, ich habe nach dem Schreiben mit mir gehadert, ob ich gegenüber der Disziplin zu harsch war. Ich glaube, manchmal kann sie einem das Leben retten und in stressigen Phasen gibt es meiner Wahrnehmung nach gefühlt nur die Wahl zwischen Disziplin und Laissez-Faire… und da wirkt die Disziplin irgendwie auch attraktiver auf mich (und auf die Gesellschaft sowieso).
Gleichzeitig merke ich, wie ich mich, wenn ich rein aus Disziplin heraus handelte, mich irgendwie selbst sabotiere. Zum Beispiel setze ich mich dann für fünf Minuten hin, verbringe die komplette Zeit jedoch damit, über die ToDo-Liste nachzudenken. Oder andersherum: ich werde ganz starr darin, diese fünf ungestörten fünf Minuten haben zu müssen und reagiere extrem genervt, wenn genau in dieser Zeit dann ein „MAMA!“ die Ruhe durchdringt.

Und zu guter letzt kommt mir gerade noch der Gedanke, dass dieser Ruck, von dem Du schreibst, nicht das ist, was ich Disziplin nennen würde, sondern vielleicht auch ein Akt der Entschlossenheit, für Dich zu sorgen, bei dem Du ganz bei Dir bist, und der Dir hilft, antrainierte Muster und Gewohnheiten zu durchbrechen.
In jedem Fall freue ich mich über dieses Ausbrechen und bin froh, dass Du da im stressigen Alltag für Dich sorgst.:)

Liebe Grüße,
Julia

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